Die gemäss Vernehmlassungsentwurf vorgesehene Aufhebung der Möglichkeit, von den Verordnungsbestimmungen abzuweichen, betrifft die Ausbildungen mit integrierter Allgemeinbildung (AB). Letztere weichen aktuell von der Verordnung über die Mindestvorschriften für die Allgemeinbildung in der beruflichen Grundbildung (VMAB) ab, da das Qualifikationsverfahren in diesen Berufen nicht gemäss dem in der aktuell geltenden Verordnung definierten Verfahren abläuft.
Die Vernehmlassungsvorlage berücksichtigt die neusten Revisionen der kaufmännischen Berufe. Die Übergangsbestimmungen in Artikel 15 Absatz 5 der Vorlage lassen die Möglichkeit offen, den Qualifikationsbereich der Allgemeinbildung bis spätestens 2037 nach dem integrierten Modell zu unterrichten und zu prüfen. Diese Frist bedingt eine Revision der Bildungsverordnungen der Berufe mit integrierter AB im Hinblick auf ein Inkrafttreten spätestens 2033 (erstes Qualifikationsverfahren gemäss der VMAB spätestens 2036 für das Niveau EFZ), d. h. 10 Jahre nach dem Inkrafttreten der letzten Revision der kaufmännischen Berufe. Das SBFI und die Kantone halten eine Frist von 10 Jahren für die Überprüfung der Bildungsziele angesichts des rasanten digitalen Wandels und insbesondere des starken Aufkommens der künstlichen Intelligenz für angemessen und vermutlich auch notwendig.
Die Aufhebung der Möglichkeit, von der Verordnung abzuweichen, ist aus mehreren Gründen gerechtfertigt:
Ein erster Grund ist die von den Verbundpartnern bei der Festlegung der Revisionsgrundsätze geäusserte Absicht, den Stellenwert der Allgemeinbildung in der beruflichen Grundbildung zu erhöhen und ihr mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Dies soll durch eine stärkere Harmonisierung des Unterrichts und der Evaluation der AB erreicht werden. Mit der Aufhebung der Möglichkeit, von der VMAB abzuweichen, wird die Sichtbarkeit der AB in allen beruflichen Grundbildungen verbessert und die Komplexität der Umsetzung verringert, da Dispensationen (heute in den Ausbildungen mit integrierter AB schwer umsetzbar) im Zusammenhang mit Kursen der integrierten Berufsmaturität oder einem vorgängigen Bildungsweg erleichtert werden.
Die mit den Übergangsbestimmungen in Artikel 15 Absatz 5 gewährte Frist für die Anpassung der Verordnungen an eine Revision der Allgemeinbildung zeigt im Übrigen, wie unflexibel und träge das System mit integrierter AB in Bezug auf die Anpassungsfähigkeit ist. Die Berufsentwicklung kann schwerlich mit den Arbeiten zur Entwicklung im Bereich der AB synchronisiert werden, die sich aus der mindestens alle sieben Jahre stattfindenden Überprüfung durch das SBFI ergeben (Art. 13 Vernehmlassungsentwurf VMAB) und dem ausdrücklichen Willen der Verbundpartner zur regelmässigen Weiterentwicklung der AB entsprechen.
Ein weiterer Grund ist die Kompetenzorientierung, die nun bei den Revisionen der Bildungsverordnungen in der beruflichen Grundbildung angewendet wird. Sie wurde auch bei der Revision des RLP ABU durch das Hinzufügen von 12 Schlüsselkompetenzen für das lebenslange Lernen in den Vordergrund gestellt. Die integrierte Vermittlung der Allgemeinbildung liess sich damit begründen, dass auf beruflicher Ebene und in der AB dieselben Fächer (Recht, Wirtschaft usw.) unterrichtet wurden. Die Erfahrung der jüngsten Revisionen hat gezeigt, dass es mit der Kompetenzorientierung schwierig ist, die von der AB verfolgten Kompetenzen in die beruflichen Handlungskompetenzen zu integrieren. Der Unterschied liegt eben gerade im Anwendungsbereich des Wissens und für das SBFI ist es schwierig zu überprüfen, ob die im RLP ABU festgelegten Ziele durch die Handlungskompetenzen abgedeckt sind. Das Risiko ist gross, dass der übergreifende Ansatz der AB verlorengeht und die Entwicklung der Kompetenzen der Allgemeinbildung gemäss Artikel 15 Absatz 2 Buchstaben b BBG, der auf eine Integration der Lernenden in die Gesellschaft als verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger abzielt, bei einem in die Berufskenntnisse integrierten Unterricht der AB neben dem rein beruflichen Kontext keinen Platz findet.
Die Entwicklung der kompetenzorientierten Ausbildungsvorschriften und Unterrichtsmethoden ermöglicht im Übrigen eine Annäherung des Unterrichts der Berufskenntnisse und des allgemeinbildenden Unterrichts (ABU), ohne dass die Ziele zusammengelegt werden. Das Teilprojekt 4 des Projekts «Allgemeinbildung 2030» dient namentlich der Erarbeitung von Instrumenten, die diese Annährung ermöglichen. Die Idee ist es, während der Phase der Berufsentwicklung zu ermitteln, wo Synergien zwischen dem ABU und den Berufskenntnissen genutzt werden können, und an der Komplementarität zu arbeiten, ohne Doppelspurigkeiten zu schaffen. Der Verzicht auf die schriftliche Abschlussprüfung in AB zugunsten einer kontextualisierten Abschlussarbeit stärkt den differenzierten Ansatz der Anwendung des Wissens. Überdies ist die Möglichkeit einer praktischen Arbeit mit einem AB-Teil, der den Anforderungen der VMAB entspricht, grundsätzlich nicht ausgeschlossen.